Notizen zur Göttinger Filmgeschichte

Göttingen war in den 1950er-Jahren eines von fünf Filmzentren in Westdeutschland (inkl. Westberlin). Die Eröffnung des damals modernsten Studiokomplexes Deutschlands war am 21. August 1948 erfolgt. Bis 1961 sind hier rund 100 Spielfilme hergestellt worden. Nachdem die Filmaufbau Göttingen GmbH, gegründet von den zwei Pionieren Hans Abich und Rolf Thiele, das Atelier bereits nach ihrem ersten Film „Liebe 47“ an die neugegründete Filmatelier Göttingen GmbH (im Eigentum der Hamburger Vereinsbank) verkaufen musste, entstanden hier legendäre Produktionen wie Frank Wisbars Antikriegsfilme „Nacht fiel über Gotenhafen“ und „Hunde, wollt Ihr ewig leben?“ sowie Heinz-Erhardt-Klassiker wie „Witwer mit fünf Töchtern“, „Vater, Mutter und neun Kinder“ und „Natürlich die Autofahrer“, allesamt produziert von der Deutschen Film Hansa (Hamburg) als Hauptmieterin der Atelieranlagen.

Bedeutend für den Standort waren neben Ateliergesellschaft und Filmaufbau auch die Produktionsfirmen Arca-Film und Domnick-Film sowie die Verleihfirmen Panorama und Neue Filmkunst. Hans Domnick war erster Studioleiter bei der Filmaufbau, bevor er sich selbstständig machte und u. a. die Curt-Goetz-Komödien „Frauenarzt Dr. Prätorius“, „Das Haus in Montevideo“ und „Hokuspokus“ produzierte. Wesentlichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg des Ateliers hatte Filmarchitekt Walter Haag, ein alter Ufa-Hase, der viel Erfahrung mitbrachte und auch Fachpersonal wie Beleuchter nach Göttingen holte. Für die Bauten des Films „Hunde, wollt Ihr ewig leben?“ erhielt er 1959 den Bundesfilmpreis. Der Betrieb verfügte über eigene Werkstätten, sogar für Stuckateurarbeiten, und ein Kopierwerk („Göttinger Kopie“). Trotz ambitionierter „Filme gegen den Film“ – wie es Abich und Thiele bereits 1945 in einer Denkschrift formulierten – wie auch aufwändiger Literaturverfilmungen nach Theodor Fontane und Thomas Mann waren es vor allem die fröhlichen Familienkomödien mit Heinz Erhardt, die dem Publikum auch heute noch im Gedächtnis geblieben sind.

Obwohl nach der Schließung des Ateliers einige Kino- und TV-Produktionen in Göttingen entstanden, wie die TV-Filme „Schwestern“ (1982/83) und „Schmerz – Chronik einer Krankheit“ (1988) sowie Aufnahmen für zwei „Tatort“-Folgen („Dunkle Wege“, 2004, „Freigang“, 2014), führten all diese Bemühungen letztendlich zu keinem nachhaltigen Ergebnis. Auch ambitionierte Versuche von Altmeister Rolf Thiele im Jahr 1991 („Einst hatt‘ ich einen schönen Traum“, das Projekt kam nie über einen ersten Drehbuchentwurf hinaus), Sven Schreivogel im Jahr 1996 („Der Seelenspiegel“) und Oliver Clark im Jahr 2012 („Harder und die Göre“) zur Wiederbelebung der Filmstadt Göttingen blieben leider ohne Erfolg. Eine weitere herbe Niederlage für das professionelle Filmschaffen in Göttingen war die Schließung des Instituts für den Wissenschaftlichen Film im Jahr 2010 (zuletzt IWF Wissen und Medien gGmbH).

Doch inzwischen ist Göttingen „Tatort“-Stadt des Norddeutschen Rundfunks. Den Auftakt bildete die Episode „Das verschwundene Kind“, die für Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) eine Strafversetzung in die südniedersächsische Universitätsstadt und eine neue Partnerin (Florence Kasumba) mit sich bringt. Gedreht wurde der TV-Film vom 6. Juni bis 8. Juli 2018 in Göttingen und Hamburg. Die Erstausstrahlung am 3. Februar 2019 sahen 9,77 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 26,5 Prozent entspricht. Inzwischen sind drei weitere Episoden mit dem Göttinger Ermittlerinnen-Duo gesendet worden: „Krieg im Kopf“, „National feminin“ (beide 2020) und „Die Rache an der Welt“ (2022). Bereits abgedreht ist eine fünfte Episode („Geisterfahrt“), deren TV-Premiere voraussichtlich Ende 2023 erfolgen wird. Dadurch ist die frühere Filmmetropole Göttingen bundesweit in den Fokus als TV-Kulisse gerückt.

© 2019 Sven Schreivogel [aktualisiert: 07/2023]

Dreharbeiten zur Curt-Goetz-Komödie „Hokuspokus“ (1953). Links im Bild: Hans Nielsen, Valerie von Martens.
Bildnachweis: Nachlass Rudolf Koch

Thomas-Mann-Verfilmung „Königliche Hoheit“ (1953).
Bildnachweis: Stadtarchiv Göttingen/Repro: Thomas Klawunn

„Kein Auskommen mit dem Einkommen“ (1957), einzige Eigenproduktion der Filmatelier Göttingen GmbH in Co-Produktion mit Panorama Film GmbH.
Bildnachweis: Stadtarchiv Göttingen/Repro: Thomas Klawunn

Krimikomödie „Nick Knattertons Abenteuer – Der Raub der Gloria Nylon“ (1959), Comic-Verfilmung nach Manfred Schmidt.
Bildnachweis: Stadtarchiv Göttingen/Repro: Thomas Klawunn